Das wars für heute! - Journalistengeschichten

Einfach da sein! Und es überleben!

 

„Es liegt mir fern, auch nur ansatzweise kritisch gegenüber Fernsehleuten zu sein, die einen super Job machen, wenn man bedenkt, dass sie unter extremem Zeitdruck arbeiten und den intellektuellen Tiefgang eines Hamsters haben.“

(Dave Barry)

 

 

Das Gute ist, Tiefgang ist nicht so wichtig. Erstmal zumindest! Da sein ist wichtig! Da, wo die Geschichte passiert, da beginnt sie auch! Das ist die einfachste und grundlegendste Regel für Journalisten überhaupt. Deshalb wird sie auch zunehmend abgeschafft in einer Welt, in der internationale Nachrichtenagenturen jedes Bild aus jedem Winkel der Welt in jede Redaktion tragen. Das spart Reisekosten. Und es erspart dem Hamster den Versuch des Tiefgangs. Ich und alle, die in diesem Buch – natürlich unter dem Deckmantel strengster Verschwiegenheit! - ihre Berufsgeheimnisse mit Ihnen teilen, liebe Leserin und lieber Leser, sind noch aus einer anderen Zeit. Einer Zeit, als Reporter da sein mussten. Da sein, wie in ‚pünktlich da sein, rechtzeitig, möglichst als Erster’. Die erste Regel. Wer nicht da ist, spielt nicht mit!

 

Und genau da fangen viele Probleme bereits an. Das mit den Reisekosten zum Beispiel. Die Frage: Wie komme ich überhaupt hin? Und die offiziell nicht zugelassene Frage: Überlebe ich das?

 

Als wir die komfortable Erste Klasse- Kabine des American Airlines Jets vom New Yorker John F. Kennedy-Flughafen nach Santo Domingo in der Dominikanischen Republik [1] verlassen hatten, betraten wir eine andere Welt. Eine, in der Haustiere Economy fliegen. Ich war mir für einen Moment sicher, im Vorbeigehen in der Abfertigungshalle in einem Käfig ein Huhn mit einer Vielfliegerkarte gesehen zu haben. Sein Besitzer lächelte und zuckte mit den Schultern. Wie gut, dass unser Produktionsassistent von Washington aus einen Charter für den Weiterflug nach Puerto Plata organisiert hatte.

 

Dachte ich zumindest. Bis ich den Piloten sah. Der sah selbst im Vergleich zu dem Miles-and-More Huhn eher zerfleddert aus. Eine dunkelblaue Hose, die noch nie Kontakt mit einem Bügeleisen gehabt hatte. Ein weißes Hemd, das dieses Attribut nur begrenzt zurecht trug. Der Mann, der da drin hing, trug ein debiles Grinsen und eine Pappe, auf der hastig gekritzelt Dutch Walla stand. Wir gingen an ihm vorbei und wir wären wahrscheinlich besser weiter gegangen. Aber mir fiel im letzten Moment auf, dass der Niederländer mit dem schönen Namen Walla auch ‚Deutsche Welle’ heißen könnte. Ich drehte mich zu dem Hühnermann um und fragte ob er Jose sei – was, dazu später mehr, für praktisch jeden in diesem Winkel der Welt zutrifft – „Si“ und von der Charterfirma? „Si, Senor!“ Er strahlte mich mit einem Grinsen an, das eine Zahn- und mehrere Bildungslücken erahnen ließ. Und so nahm die Abwärtsspirale eines Unglückstages weiter ihren Lauf.

 

An diesem Punkt begegnen sich die gängigen Vorstellungen von der Arbeit eines Korrespondenten und eine harte, grausame und völlig humorlose Realität. Erster Klasse in die Karibik. Ein Privatflugzeug für den Weiterflug. Glauben Sie mir, wir reisen nicht immer so. Dass es diesmal so war, hatte einen Grund. Wir wollten da sein. Und der Chef wollte es nicht.

 

Der Studioleiter unseres Büros in Washington war ein Zahlenmann. Die erkennt man daran, dass sie nur Zahlen schreiben können, was für die Karriere eines modernen Journalisten extrem förderlich ist. Die schreibende Zunft wird mehr und mehr zur Zahlen-schreibenden Zunft. Da sein, vor Ort sein, das war dem Zahlenmann zutiefst zuwider, da es sich erfahrungsgemäß immer wieder mit Kosten verbindet.

„Aber Berlin will, dass wir vor Ort sind!“

Die Zeit drängte. Wir mussten den Zubringer nach New York erwischen, sonst verpassten wir den Flug nach Santo Domingo. Das mag den Umstand entschuldigen, dass mein Einwand nicht ganz ehrlich war. Tatsächlich hatte ich die Redaktion in der Sendezentrale davon überzeugt, es zu wollen. Mir war klar, dass eine ausführliche Berichterstattung über den Absturz eines kompletten Ferienfliegers mit deutschen Urlaubern an Bord ein gewisses Informationsbedürfnis befriedigen würde. Um es vorsichtig auszudrücken. Mit anderen Worten, es war DIE Story und sie würde es auch für die nächsten Tage bleiben.

 

Birgenair Flug 301 war kurz nach dem Start vom Gregorio Luperon International Airport in Puerto Plata, Dominikanische Republik, ins Meer gestürzt. An Bord waren deutsche Reisende, die auf diesem Flug über Gandor in Neufundland und Berlin-Schönefeld nach Frankfurt am Main gebracht werden sollten. Man musste davon ausgehen, dass die 189 Seelen an Bord kaum Überlebenschancen hatten. Hatte jemand wirklich den Sturz ins Meer überlebt, so hatten wahrscheinlich die Haie in diesem Teil der Karibik den Rest erledigt.

 

„Das können wir auch von hier abfrühstücken!“, sagte der Zahlenmann mit Verweis auf die Bilder der Agenturen auf einem unserer Studiomonitore. Sie zeigten Menschen in einem Flughafengebäude, die auf eine Anzeigetafel schauten. Aufschlussreich.

„Berlin will aber...!“ Ich konnte mich gerade noch beherrschen, nicht wie ein trotziges Kind mit dem Fuß aufzustampfen.

 

Das Gute an Zahlenmenschen ist, dass sie gute Politiker sind. Manchmal. Und das macht sie manipulierbar. Der Mann sah ein, dass er gegen die geballte Kraft journalistischer Fakten (...falls das kein Widerspruch in sich ist!) nicht ankommen würde. Und so tat er, was der Politiker in der Niederlage eben tut: Er machte es teuer für den Gegner!

 

„Sie fliegen Erster Klasse! Alle! Bezahlen Sie das Übergepäck, keine Kulanz! Und dann wird ein Flugzeug gechartert. Nehmen Sie die teuersten Hotels. Den größten Leihwagen. Bewahren Sie jede Quittung auf! Die sollen in Berlin endlich merken, was dieser Quatsch für ein irrsinniges Geld kostet!“ Mit dieser Quatsch meinte er, da sein. Unseren Job machen. Zahlenmenschen! Schulterzucken. Professionelle Gelassenheit. Es war drei Stunden vor Abflug ohnehin kein anderer Platz in der einzigen Maschine nach Santo Domingo zu bekommen, als in der ersten Klasse. Und wenn wir noch am selben Tag aus der Hauptstadt der Dominikanischen Republik quer über die Insel nach Puerto Plata kommen wollten, dann blieb uns nur ein privater Flugzeugcharter. Manchmal ist das so, mit der ersten Regel: Es ist teuer, da zu sein! Beziehungsweise hin zu kommen. So hatte der Zahlenmann seinen Spaß. Und wir unseren. Erstmal zumindest.

 

Der Spaß endete dann kurz nachdem wir in einer kleinen zweimotorigen Maschine, mit dem zerfledderten Piloten am Ruder, in die Wolken über Santo Domingo abhoben. Und ich rede hier nicht von Schönwetterwolken! Das waren Gewitterwolken - mit einem ganz großen „G“. Steve Cup, unser Ton- und Kameraassistent und generelles Faktotum, schaute besorgt aus der Wäsche. Während sein Glasauge gelassen blieb, rollte sein Gegenstück aufgeregt hin und her. Steve bemühte sich, mit verkrampfter Hand die Halteschlaufe aus der Decke des Flugzeuges zu reißen. Ich hielt das für einen interessanten Anblick, denn ich hatte Chris noch nie beunruhigt gesehen. Selbst dann nicht, wenn es allen Grund dazu gab! 

 

Auch Mister Flying Chicken, der tapfere Pilot, murmelte leise spanische Flüche vor sich hin, während er sich sichtbar mühte, unsere schlingernde Nussschale im Ozean eines apokalyptischen Tropenregens auf Kurs zu halten. Blitze zuckten über den Himmel. Ansonsten war es dunkel geworden. Zu früh an diesem Tag. Wir flogen in die Berge. Sattgrüne karibische Berge, die sich nun schwarz und drohend vor uns auftürmten, zumindest in den Momenten, in denen man sie von den schwarzen und drohenden Wolken unterscheiden konnte. Der Regen peitschte auf die Außenhaut unseres in meiner Wahrnehmung immer kleiner werdenden Fliegers ein. Ich lehnte mich eher resigniert, als entspannt in die Polster zurück und beschäftigte mich mit der unglaublichen Ironie, dass wir auf dem Weg zu einem Flugzeugabsturz mit dem Flugzeug abstürzen würden. Wenn man schon als Reporter sterben muss, dann so. Und das würde erst Kosten verursachen... der Chef würde begeistert sein!

 

Der Abend wurde dann doch noch länger, als befürchtet. Mister Flying Chicken setzte seine Propellertaube mit einem Rumms auf derselben Landebahn in Puerto Plata auf, von der vor wenigen Stunden eine Gruppe müder und erleichterter Urlauber mit der Ersatzmaschine der Birgenair abgehoben hatten. Ihr eigentliches Flugzeug einer dominikanischen Gesellschaft hatte wegen technischer Schwierigkeiten nicht fliegen können. Vielleicht wäre es sicherer gewesen.

 

Was hatte der Chef gesagt? Nehmen Sie den größten Leihwagen! Klar. Kein Problem. Der war schon bestellt. Am Flughafen stolperten wir jedoch über den Verkehrsminister der Dominikanischen Republik. Und weil Reportererfolg zu 70 Prozent aus Reporterglück und den restlichen 30 Prozent aus dem Wahrnehmen der Chancen besteht, drehten wir gleich ein Interview. Und das ist kein Krankenschwester-Wir nach dem Motto ‚mach mal’. Im Gegenteil. Ich drehte als Korrespondent das Interview und Kameramann Alex Milenic stellte die Fragen. Wir waren auf diese Art ein eingespieltes Team. Alex begleitete mich auf allen meinen Reisen nach Mittelamerika. Er ist nicht nur ein begnadeter Kameramann. Er ist auch ein gutes Stativ. Mit seinen zwei Metern Bauhöhe und ungefähr 130 Kilo Kampfgewicht macht er auch im dichtesten Gewühl noch ruhige, wackelfreie Bilder mit klarer Sicht über die Köpfe drängelnder Kollegen hinweg. Und weil er gebürtiger Argentinier ist, spricht er fließend Spanisch. Das war der Grund für unseren gelegentlichen Rollentausch: Wenn der Gesprächspartner – das kommt vor in Mittelamerika – nur spanisch sprach, dann stellte er die Fragen mindestens so intelligent wie sein Korrespondent. Und der Korrespondent bediente die Kamera nicht ganz so fehlerfrei, wie es Alex vermochte.

 

Vielleicht wurde der Abend ja doch noch gut. Den Flug mit Mister Flying Chicken durch den karibischen Weltuntergang hatten wir überlebt. Wir hatten mit dem Interview unseren ersten Coup. Wir würden es gleich nach Ankunft aus unserem Ü-Wagen nach Berlin überspielen. Und nun ab in den „größten Leihwagen“, hin zum Ü-Wagen und ein paar Stunden arbeiten und dann eine Nacht im „teuersten Hotel“, wie es der Chef befohlen hatte.  Manchmal macht es Spaß, Anweisungen eines zornigen Vorgesetzten zu befolgen.

 

Wenn es einem gelingt! Der ‚größte Leihwagen’ entpuppte sich als ein Subaru Impreza. Trotz des Namens ist das Ding zumindest in Sachen Größe nicht gerade eindrucksvoll. Ein Kleinwagen mit Kombiheck und Allradantrieb. Die Menschen in Puerto Plata reden gewiss heute noch davon, wie drei verrückte ‚Gringos’ vor dem Flughafen versuchten, ihre Koffer und zahlreiche Aluminium- Kisten voller Fernsehtechnik in, auf und an einen glorifizierten Kleinwagen zu bringen. Allein mit Alex Milenic wäre das Autochen schon ziemlich überfordert gewesen. Dass die wilde Packerei in einem sintflutartigen Regen stattfand, erhöhte den Unterhaltungswert fürs Publikum, das zum größten Teil aus gelangweilten Tagelöhnern bestand.

 

Zur Hilfe kam uns das Allheilmittel aller strauchelnden Fernsehproduktionen: Gaffertape. Schweres Texilklebeband, das eigentlich dazu dienen soll, Strom-, Ton- und Bildleitungen zu verlegen. Es wird für alles benutzt: Für kleinere Reparaturen an Equipment oder Hotelmöbeln, zum Flicken zerrissener Kleidung, oder auch mal zum Festkleben von Verbänden. Er soll auch schon intimere Anwendungen im „Shades of Grey“- Bereich gegeben haben, dafür gibt es aber keine zuverlässigen Quellen. In diesem Fall klebten wir unsere Koffer förmlich auf den kleinen Subaru. Angesichts der Kratzer, die diese Dinger an dem Auto hinterließen, konnte diese Automiete doch noch teuer werden. Der Chef würde sich freuen. Und so ging es schließlich durch die dominikanische Dunkelheit und den strömenden Regen in Richtung eines kleinen Fischerdorfes. Dort sollte unser Ü-Wagen an der Kaimauer stehen, an der Schiffe der dominikanischen und US-amerikanischen Küstenwache die ersten geborgenen Leichen und Trümmerteile der Unglücksmaschine anlandeten. Tiefe Schlaglöcher und unsere Ortsunkenntnis, gepaart mit Mopeds, Pferdewagen und motorisierten Selbstmördern, machten die Fahrt zum nächsten Abenteuer. Es war immer meine Überzeugung, dass das Gefährlichste am Reporterjob die ganz normalen Verkehrsrisiken sind! Irgendjemand erwähnte, dass Falco auf diesen Strassen verunglückt war.

 

Als wir endlich durch das kleine Städtchen rollten, das unser Ziel war, unsere Arbeitsstätte und unser Wohnort für die nächsten Tage, hatte der anhaltende Regen die Strassen längst in Schlammpisten verwandelt. Wir fanden das teuerste Hotel der Stadt auf Anhieb. Es war leicht. Es war das einzige Hotel im Ort. Ein Mensch, der mit seinem Gesicht wohl nur zufällig der Besetzungscouch für Hitchcocks Film ‚Psycho’ entgangen war, zeigte uns die Zimmer. Diese bestanden jeweils aus einem kleinen Raum mit einem vergitterten Loch in der Wand als Fenster, einem klapprigen Bett und einem Schrank gleicher Bauart. Davor etwas, das der Besitzer stolz Badezimmer nannte. Zumindest gingen die Hoffnungen auf, die unser Vorgesetzter in die Unterkunft gesetzt hatte: Ich drückte den Portier für die drei Zimmer für die erste Nacht wie verlangt dreihundert Euro in die Hand. Unglücke und Hotelpreise haben immer eine direkte Beziehung. Wenn Sie, liebe Leserin und lieber Leser, jemals wissen wollen, ob an einem Ort gerade etwas Schreckliches geschehen ist, das die Aufmerksamkeit der Weltpresse anzieht, fragen Sie nach den Hotelpreisen. Wenn diese hyperinflationsmäßig vervielfacht sind, dann hat wahrscheinlich irgendein armer Wicht dafür mit seinem Leben bezahlt.

 

Noch sollten wir jedoch nicht in den Genuss unserer Unterkunft kommen. Zunächst galt es, den Ü-Wagen zu finden und das Interview zu überspielen. Außerdem wollte die Redaktion gleich nach unserer Ankunft eine Live-Schalte senden mit den neuesten Informationen von vor Ort. Noch hatte ich weder diese Informationen, noch den Ü-Wagen, der angeblich aus Haiti für uns über die Grenze geholpert war.

 

Wir fanden das Gefährt tatsächlich auf der Kaimauer des Hafens. Ja, der war aus Haiti, so sah er aus, und es war zweifelhaft, ob er den Weg zurück noch schaffen würde. Nachdem unser heldenhafter kleiner Impreza eine tiefe Pfütze, mehr einen kleinen See, durchquert hatte, bat ich die Besatzung, den Ü-Wagen doch einen Meter beiseite zu fahren. Ich neige nicht zu Schikanen. Aber einen Übertragungswagen, der seine aufgeklappte Satellitenschüssel bei strömendem Regen nur etwa zehn Zentimeter von einer frei hängenden Stromleitung positioniert hat, den packe ich aus Prinzip nicht an. Die Menschen in der Karibik sind entspannte Leute. Selbst bei hoher Stromspannung. Und so kam die Besatzung dem Wunsch des offenbar etwas anspruchsvollen Kunden von ‚Dutch Walla’ mit einem grinsenden Kopfschütteln nach. Dafür schüttelte ich nachsichtig den Kopf, als sie versuchten, mit einem Strom-Verlängerungskabel ein Mikrofon anzuschließen. So ausgleichend ist die Gerechtigkeit auf der journalistischen Landstrasse.

 

Der Arbeitstag endete ohne besondere Ereignisse. Wir hatten unser Interview mit dem Verkehrsminister und ein paar unbestätigte Gerüchte über den Unfallhergang. Das ist normal bei Flugzeugabstürzen. Es ist oft wirklich erst die offizielle Flugunfall-Untersuchung, die feststellen kann, was sich tatsächlich ereignet hat. Journalisten vor Ort müssen sich größtenteils auf Augenzeugen verlassen. Und die sind notorisch unzuverlässig, besonders bei Flugzeugabstürzen. Schon manch eine offizielle Untersuchung hat wochenlang vergeblich nach Spuren eines Sprengsatzes gesucht, nachdem Augenzeugen berichtet hatten, sie hätten eine Explosion gesehen, bevor das Flugzeug abstürzte. Im Fall einer Swissair-Maschine, die wenige Jahre später, 1998, vor der Küste von Neu-Schottland in Kanada abstürzte, ließ sich das FBI aufgrund von Zeugenaussagen sogar zu einer verfrühten Aussage hinreißen, es habe einen Terroranschlag gegeben. Die Flugunfalluntersuchung belegte schließlich, dass es ein Kabelbrand gewesen war, dessen Folgen die Maschine zum Absturz brachten.

 

In Puerto Plata war das nicht anders. Erst die offizielle Untersuchung würde offenbaren, welche skurrilen Umstände zur Katastrophe geführt hatte. Schon am zweiten Tag sollten wir erfahren, dass die abgestürzte Maschine nicht das ursprünglich geplante Flugzeug war. Das hatte technische Probleme. Stattdessen wurde eine seit knapp drei Wochen in Puerto Plata geparkte Boeing 757 der türkischen Birgenair eingesetzt, um die Urlauber nach hause zu bringen. Aufgrund der geringeren Reichweite dieses Flugzeugtyps sollte die Maschine in Neufundlang zwischenlanden. Doch so weit kam sie nie.

 

Etwas so kleines und harmloses wie ein Insekt löste wahrscheinlich die verhängnisvolle Kette von Umständen aus, die letztendlich 189 Menschen das Leben kostete. Die tropischen Viecher hatten sich – so wird es vermutet - während das Flugzeug ungenutzt im tropischen Klima auf dem Rollfeld stand in den Geschwindigkeitsmessern festgesetzt. Die Crew der Birgenair entdeckte zwar noch rechtzeitig diesen gravierenden technischen Defekt, brach aber ihren Start nicht ab. Die Instrumente zeigten dem Piloten eine viel höhere Geschwindigkeit an, als er tatsächlich flog. Als er dann noch falsch reagierte, indem er versuchte, die Nase des Flugzeuges hochzuziehen, kam es zu einem Strömungsabriss und die Maschine fiel wie ein Stein ins Meer.

 

All’ dies sind aber Dinge, die Reporter vor Ort kurz nach dem tragischen Ereignis noch nicht wissen können. Also berichteten wir, was wir wussten. Dass es sich um deutsche Urlauber handelte, die da verunglückt waren. Dass es eine Ersatzmaschine war. Und wie sich Angehörige gleich hinter uns am Zaum zu den Kaianlagen die Augen aus den Köpfen weinten, als die Leichenteile von der Küstenwache an Land gebracht wurden. Es war eine deprimierende Geschichte. Und ob Sie es glauben, oder nicht, so etwas schlägt auch erfahrenen Reportern ordentlich aufs Gemüt. Nur, wir haben oft gar nicht die Zeit, die Ereignisse selber richtig zu verarbeiten. Zu hoch ist der Zeitdruck, ständig neue Nachrichten und Einschätzungen zu liefern. Und der Kampf mit den Unwägbarkeiten einer solchen Live-Produktion vor Ort lenkt von vielem ab.

 

So hatten wir auch an diesem Abend keine Gelegenheit, die Tragik der Situation wirklich zu verarbeiten. Als wir uns alle nach getaner Arbeit etwas betreten und sehr müde in unser kleines Leihauto zwängten und die ersten Meter aus dem Hafengelände gefahren waren, stellten wir fest: Der Dauerregen hatte die Hafenanlagen zu einer Insel gemacht. Zwischen uns und dem nächsten Stück Land, einem kleinen Park, ungefähr zwanzig nasse, dunkle Meter entfernt, lag hüfttiefes Wasser. Und wenn Sie, liebe Leserin und lieber Leser, jetzt sagen „Hüfttief? Ist doch prima. Dann konntet Ihr Euer Zeug ja tragen!“, dann haben Sie das Zeug zur Führungskraft!

 

Also machten wir uns daran, mitten in der Nacht im tropischen Regen der Dominikanischen Republik, jede einzelne Materialkiste auf dem Kopf durch das Wasser in den gegenüber liegenden Park zu schleppen. Dann watete ich zurück und probierte das Unmögliche: Der kleine Subaru musste übers Wasser. Und weil das Ding nicht Jesus Subaru war, konnte er das nicht. Also musste er durch.

 

Der Trick bei der Sache ist: Du musst so langsam fahren, dass das Ding noch beherrschbar ist und nicht aufschwimmt. Und so zügig, dass der Auspuff nicht nachhaltig unter Wasser kommt, denn dann bleibt er liegen, der Subaru. Erstaunlicherweise erwies sich der kleine ‚größte Leihwagen den es gibt’ als hervorragender Schwimmer. Ich kam mit nassen Klamotten und feuchten Händen wohlbehalten am anderen Ufer an, fuhr das Ding ganz sachte eine flache Treppe hinauf in den Park und... war auf einer anderen Insel! Wer also die Muße hatte, die Szene zu beobachten, wird ein paar Gestalten gesehen haben, die sich erneut ihre Zarges-Boxen auf die Köpfe hoben und einmal mehr durchs Wasser stiefelten, zum nächsten Ufer in dieser Sintflut. Wie einer von denen erfolglos versuchte, ein Automobil in ein U-Boot zu verwandeln. Und wie sie dann alle davon fuhren.

 

Die Aktion hatte einen großen Vorteil. Wir kamen nicht mehr dazu, die zweifelhaften Vorzüge unserer Herberge zu erkunden. Unserem Tonmann Steve Cupp, dem immer so was passierte, brach lediglich mitten in der Nacht der gesamte Kleiderschrank mit lautem Getöse zusammen. Was uns alle im Schlafgewand und kampfbereit in sein Zimmer trieb. Wir waren sicher, der gute Steve würde gerade Opfer eines besonders brutalen Raubüberfalls. Ich weiß nicht, was ihn in dieser Nach mehr erschreckt hat, der zusammenbrechende Schrank, oder das Auftauchen dreier kampflustiger Kollegen in seinem Schlafgemach. Er hat nie drüber gesprochen. Auch nicht darüber, was eigentlich den Schrank zum Einstürzen brachte! Er ließ sich mit einem Grunzen auf das Bett fallen und schlief im selben Moment wieder ein. Seinen nächsten Urlaub verbrachte er zur Meditation in Indien bei irgendeinem Guru.

 

Als wir am nächsten Morgen wieder an unserem temporären Arbeitsplatz am Ü-Wagen ankamen, wimmelte es im Hafen schon von Reportern. Unter ihnen war einer der Starreporter des US-Senders ABC News. Er hatte natürlich – wahrscheinlich dank der indiskreten Kooperation der US-Küstenwache – das Ausladen der Leichenteile aus der Nähe beobachten dürfen und berichtete von grausigen Szenen. Er war in Vietnam gewesen, erklärte er, aber so etwas habe er noch nie gesehen. Ich stellte ihm die übliche Frage unter Kollegen vor Ort: Wie und wann seid Ihr denn hergekommen und wo arbeitet ihr?

„In Miami. Wir haben heute morgen den Lear-Jet genommen und fliegen gleich zum Schnitt zurück.“

So geht’s natürlich auch.

 

Aber hinkommen und da sein... im Leben der meisten Journalisten sind das oft die größten Herausforderungen.

 

Der kleine und irgendwie dann doch beeindruckende ‚Impreza’ in der Dominikanischen Republik war nicht der einzige Leihwagen, der unter einer Produktion zu leiden hatte: Auf der Fahrt nach Bagdad haben wir einmal ein Mietauto geflutet. Bagdad in Arizona übrigens! Eine kleine Stadt, die sich rund um eine Kupfermine angesiedelt hat. Eine knapp-2000-Seelen Gemeinde mit einem großen Arbeitgeber, der Bagdad Copper Corporation, sechs Kirchen und einer Kneipe. Übrigens die einzige Kneipe, in der ich jemals versucht habe, mit einem Lasso einen Bullen einzufangen! Ein ungefähr 70 Zentimeter großer Elektro-Bulle, der ferngesteuert und unter dem Jubel der Bier trinkenden Menge im Gastraum mit dem Lasso gefangen wird. Womit das Unterhaltungsprogramm von Bagdad, Arizona auch schon vollumfänglich beschrieben wäre!

 

Wenn man aus Scottsdale, Arizona kommt, führen die letzten siebzig Kilometer zur Minenstadt auf einer Sandpiste durch die Wüste. Es sei denn, man ist bereit, einen weiten Umweg in Kauf zu nehmen. Was wir nicht waren. Und so galt es, auf der Sandpiste auch drei Furten zu durchqueren. Normalerweise im Sommer kein Problem. Aber es hatte geregnet. Unsere Limousine blieb aus lauter Neugierde mitten im Flussbett stehen, wie ein Rind, das die überraschende Kühle genießt. Wir fühlten uns schnell wie die Rindviecher und genossen die Kühle um unsere Füße keineswegs. Binnen Sekunden war der Innenraum erst mit Wasser und nach der Durchquerung und dem Öffnen der Türen dann mit dickem, rotem Schlamm gefüllt. Die Verleihfirma war bei der Rückgabe erstaunlich kulant.

 

In einem ganz anderen Klima, ganz im Norden Alaskas, dort wo die Transalaska Pipeline an den Ölförderanlagen in Prudhoe Bay endet, flog uns die Heckscheibe aus unserem SUV. Wir fuhren weiter, still vor uns hin frierend und dick eingehüllt in jeweils zwei Lagen Daunen. Aber die Kälte war nicht das Problem. Der Staub war es. Durch den Heckwirbel des Autos und die nicht mehr existente Heckscheibe wehte es den Staub der Piste ins Auto. Binnen weniger Minuten war alles im Auto von mehreren Zentimetern Straßenstaub bedeckt.

 

Journalisten haben auf Reisen seltsame Ernährungsgewohnheiten, je nach Einsatzort und Umständen. Aber auf eines können sie sich fast immer verlassen: Sie fressen Staub und sie müssen eine Menge Kröten schlucken.

 



[1] Es war der 7. Februar 1996. Fünf Jahre später, am 12. November 2001 stürzte derselbe Flug American Airlines 587 kurz nach dem Start wegen eines Pilotenfehlers über dem New Yorker Stadtteil Queens ab. Alle 260 Insassen und fünf Menschen am Boden kamen bei dem Unglück ums Leben.